Mittwoch, Mai 13, 1998

BVerfG: Einkommensabhängige Kindergartenbeiträge

Einkommensabhängige Staffelung von Kindergartenbeiträgen ist verfassungsgemäß

Der Erste Senat des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde eines Ehepaares aus Hessen im Zusammenhang mit der einkommensabhängigen Staffelung von Kindergartenbeiträgen als unbegründet zurückgewiesen. Diese Staffelung greift insbesondere nicht in verfassungswidriger Weise in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ein und steht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) im Einklang.

I.

Die Stadt Idstein, in der die Beschwerdeführer leben, sieht in ihrer Kindergartengebührensatzung (KiGaGebS) Beiträge vor, die nach Einkommen und Kinderzahl gestaffelt sind.
Entsprechendes gilt für das der KiGaGebS zugrundeliegende Hessische Kindergartengesetz (KiGaG), das in § 10 bestimmt:

"Die für den Besuch von Kindertagesstätten zu entrichtenden Teilnahmebeiträge oder Gebühren können nach Einkommensgruppen und Kinderzahl gestaffelt werden."

§ 90 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VIII (SGB) enthält dazu folgende Regelung:

"(1) Für die Inanspruchnahme von Angeboten ...

3. der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach §§ 22, 24 können Teilnahmebeiträge oder Gebühren festgesetzt werden. Landesrecht kann eine Staffelung der Teilnahmebeiträge und Gebühren, die für die Inanspruchnahme der Tageseinrichtungen für Kinder zu entrichten sind, nach Einkommensgruppen und Kinderzahl oder der Zahl der Familienangehörigen vorschreiben oder selbst entsprechend gestaffelte Beiträge festsetzen."


Der Sohn des beschwerdeführenden Ehepaares besuchte einen Kindergarten in Idstein. Die Eltern wurden nach dem Höchstsatz veranlagt. Sie griffen im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren (§ 47 VwGO) die KiGaGebS an. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof lehnte diesen Kontrollantrag ab; die Satzung sei formell und materiell rechtmäßig. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht zurück.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wandten sich die Beschwerdeführer gegen diese gerichtlichen Entscheidungen, gegen die KiGaGebS sowie mittelbar gegen die entsprechende KiGaG und des SGB.

Sie rügten eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 3 Abs. 1 (allgemeiner Gleichheitssatz), Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) sowie Art. 14 GG (Eigentumsgarantie).

Zur Begründung trugen sie u.a. vor:

Die verlangte Beitragsgebühr sei nach ihrer Rechtsnatur tatsächlich weder Gebühr noch Beitrag, sondern eine kommunale Einkommensteuer, für deren Erhebung nicht das Land Hessen, sondern der Bund die Kompetenz habe.

Zudem verletze die Satzung den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil es für die Ungleichbehandlung keine sachlichen Gründe gebe.


II.

Nach Auffassung des Ersten Senats ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die KiGaGebS und die dieser Satzung zugrundeliegenden landes- (KiGaG) und bundesrechtlichen Normen (SGB) stehen mit dem GG im Einklang.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt. Dieses Grundrecht schützt davor, durch die Staatsgewalt mit einem finanziellen Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist. Die angegriffene kommunale Gebührensatzung belastet die Beschwerdeführer zwar und beeinträchtigt sie damit in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit. Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Die gesetzlichen Grundlagen halten sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz oder andere Grundrechte der Beschwerdeführer.
a) Die Kompetenzregelungen des GG werden durch die angegriffenen Normen nicht verletzt.

Der Bundesgesetzgeber hatte die Kompetenz zum Erlaß des § 90 SGB VIII. Für die Bestimmung der Gesetzgebungskompetenz ist der Schwerpunkt des zu regelnden Sachverhalts entscheidend. Dieser liegt hier in der fürsorgenden Betreuung durch Kindergärten mit dem Ziel einer Förderung sozialer Verhaltensweisen und damit präventiver Konfliktvermeidung. Der vorschulische Bildungsauftrag steht hinter dieser dem Bereich der öffentlichen Fürsordnenden urück. Für die öffentliche Fürsorge im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG hat aber der Bundesgesetzgeber die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz.

b) Die Kindergartenabgabe ist keine kommunale Einkommensteuer und verletzt damit auch nicht die Bundeskompetenz zum Erlaß einkommensteuerrechtlicher Gesetze (Art. 105 Abs. 2 GG). Die Abgabe wird im Gegensatz zur Steuer nicht voraussetzungslos geschuldet, sondern ist an die individuelle Inanspruchnahme einer staatlichen Infrastruktureinrichtung, hier des Kindergartens, geknüpft.


Die angegriffenen Normen stehen auch mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Einklang, da es für die Staffelung der Kindergartengebühren nach Kinderzahl und Familieneinkommen sachliche Gründe gibt, die die Benachteiligung der Benutzer mit höherem Einkommen rechtfertigen.
a) Gebühren sind Geldleistungen, die dem Schuldner aus Anlaß individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen auferlegt werden und dazu bestimmt sind, die Kosten für die Leistung gz oder teilweise zdecken. Ihre besondere Zweckbestimmung, Einnahmen zu erzielen, um die Kosten der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung ganz oder teilweise zu decken, unterscheidet sie von der Steuer. Aus dieser Zweckbestimmung folgt, daß Gebühren für staatliche Leistungen nicht völlig unabhängig von den tatsächlichen Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festgesetzt werden dürfen; die Verknüpfung zwischen Kosten und Gebührenhöhe muß sachgerecht sein.

Eine an sozialen Gesichtspunkten orientierte Staffelung ist dadurch aber nicht ausgeschlossen.

Das Kostendeckungsprinzip und ähnliche gebührenrechtliche Prinzipien sind keine Grundsätze mit verfassungsrechtlichem Rang. Mit einer Gebührenregelung dürfen neben der Kostendeckung auch andere Zwecke verfolgt werden; auch der Wert einer staatlichen Leistung für deren Empfänger darf sich in Gebührenmaßstäben niederschlagen. Innerhalb seiner jeweiligen Regelungskompetenzen verfügt der Gebührengesetzgeber über einen weiten Entscstaltungsspielraum, ll zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausgehenden Zwecke, etwa einer begrenzten Verhaltenssteuerung in bestimmten Tätigkeitsbereichen, er mit einer Gebührenregelung anstreben will.

b) Der Senat führt aus, daß eine einkommensbezogene Staffelung der Kindergartenbeiträge auch nicht gegen Grundsätze der Abgabengerechtigkeit verstößt. Eine solche Staffelung ist insoweit jedenfalls unbedenklich, solange selbst die Höchstgebühr die tatsächlichen Kosten der Einrichtung nicht deckt und in einem angemessenen Verhältnis zu der damit abgegoltenen Verwaltungsleistung steht. Unter dieser Voraussetzung wird allen Benutzern im Ergebnis ein vermögenswerter Vorteil zugewendet. Auch die Nutzer, die die volle Gebühr zahlen, werden nicht zusätzlich und voraussetzungslos zur Finanzierung allgemeiner Lasten und auch nicht zur Entlastung sr Nutzer herangezogen. Nach den Festerwaltungsgerichtshofs decken die in der Satzung der Stadt Idstein festgelegten Gebührensätze die tatsächlichen Kosten nur zu etwa einem Drittel ab. Auch diejenigen Kindergartenbenutzer, die die volle Gebühr zahlen, kommen in den Genuß einer öffentlichen Infrastrukturleistung, deren Wert die Gebührenhöhe erheblich übersteigt.

c) Die ungleiche Behandlung der Eltern bei der Heranziehung zu Kindergartengebühren wird durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt.

Kindergärten sind unverzichtbar, um die Chancengleichheit der Kinder in Bezug auf die Lebens- und Bildungsmöglichkeiten herzustellen. Mit ihrer Einrichtung werden zugleich wichtige grundrechtliche Schutz- und Förderpflichten erfüllt. Die Verfügbarkeit eines Kindergartenplatzes kann Frauen darin bestärken, eine ungewollte Schwangerschaft nicht abzubrechen. Zusätzlich wird die Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben gefördert, indem ihr durch die Betreuung ihrer Kinder die Te Arbeitsleben ermöglicht wird. Auch insofern befolgt ein grundrechtliches Schutzgebot, denn gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG muß er dafür sorgen, daß Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt.

Deshalb dürfen Kindergartenplätze auch Kindern einkommensschwächerer Eltern nicht vorenthalten werden. Dieser Anforderung kann durch sozial gestaffelte Tarife genügt werden. Eine umfassende Bezuschussung der Kindergärten, die allen Eltern ungeachtet ihrer Einkommensverhältnisse gleichmäßig zugute kommt, ist hingegen zur Sicherung ihrer allgemeinen Zugänglichkeit nicht erforderlich.

Der Senat führt aus, daß auch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG nicht verletzt sind. 1 BvR 178/97